Warum ich einen großen Teil meiner Zeit in die Bildauswahl investiere

Es gibt mindestens zwei Chancen für ein „gutes“ Bild. Ein „gutes“ Bild während des Shoots einzufangen wäre die Grundvoraussetzung, aber es dann auch bei der Bildauswahl im Vergleich zu weniger guten Bildern zu erkennen und auszuwählen. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich werde euch hier zeigen wie ich meine Bildauswahl mache und welche Aspekte mir da besonders wichtig sind. Auf die Frage: „Was ist ein gutes Bild?“ werde ich Ende mit meinen ganz persönlichen Gedanken eingehen.

Wer von euch wählt freiwillig das zweitbeste Steak?

Bildauswahl ist immer noch ein stark unterbewertetes Thema und wird nicht selten recht stiefmütterlich behandelt. Es ist ein offenes Geheimnis: Viele Fotograf*innen nehmen sich nach dem Shoot nicht die Zeit für eine sorgfältige Bildauswahl. Dafür gibt es sicherlich unterschiedliche Gründe. Und ja, eine differenzierte und methodische Bildauswahl erscheint, im Vergleich zu anderen Phasen wie Planung, Spaß am gemeinsamen Shooten und der Bildbearbeitung, oft als die unangenehmste Aufgabe. Hier wird dann gerne mal abgekürzt. Aber grade in dieser Phase gibt es ungleich mehr zu gewinnen. Wir investieren viele Stunden in Ideenfindung, Abstimmung, Vorarbeit, Shooting und vielleicht auch in eine aufwändige Bearbeitung der Bilder. Warum dann nicht auch in die Bildauswahl, die mit darüber entscheidet ob ihr nach 90 Minuten Spielzeit und entsprechenden Torchancen den Ball ins Tor bringt, oder eben nicht! Es mag jetzt etwas überzeichnet klingen, aber was bringt es, Zeit in ein Bild zu stecken und es Top bearbeitet zu veröffentlichen, wenn es in der Bildaussage eher zu den schwächeren gehört. Es bedarf übrigens in mehrerlei Hinsicht Zeit: Zum einen für die Auswahlläufe aber auch Zeit es liegen zu lassen um emotionalen Abstand, von der Stimmung während des Shoots, zu gewinnen. Wenn ich höre: „Ich stelle dem Model gleich nach dem Shoot alle entstandenen Bilder für ihre Auswahl zur Verfügung.“ Gleichzeitig gibt es Klagen wie: „Das Model hat genau die Bilder ausgewählt, die ich nicht genommen hätte.“ Hmm, schwierig. Sicherlich haben wir da auch unterschiedliche Ansprüche.

Meine Motivation

Ich möchte nicht verhehlen, dass die Motivation für eine bedachte Bildauswahl auch bei mir nicht vom Himmel gefallen ist. Auslöser waren meine Printpublikationen. Mit dem Schritt meine Arbeiten in gedruckter Form im Eigenverlag zu veröffentlichen und dabei nicht nur richtig Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch etwas Bleibendes zu schaffen, an dem ich nach Jahren noch gemessen werde. Auch an den schlechten Ergebnissen. Wenn ich einen Bildband veröffentliche, steht dieser noch Jahre bei euch im Regal und wird immer mal wieder als Inspirationsquelle herausgenommen.

Aber sollte der gleiche Maßstab nicht auch für Bilder oder Bildstrecken gelten, die ich auf Social Media veröffentliche? Ich poste z. B. auf Instagram gerne auch kleine 10er-Bildstrecken. Sprich, sollte es für die Qualität der Bildauswahl nicht egal sein, wo diese veröffentlicht werden? Dies war zumindest der Gedanke, der sich mir aufgedrängt hat, nachdem ich mich intensiver mit dem Thema beschäftigt habe. Es wäre irgendwie wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, ich würde mit zweierlei Maß messen. Meine methodische, sehr intensive Sicht auf meine Arbeiten ist für mich tatsächlich ein stetiger Next Level in meiner Fotografie (warum dies so ist, dazu hier gleich mehr) und sie bringt mir, abgesehen vom zeitlichen Aufwand, nur Vorteile. Ein guter Grund diesen Maßstab für alle meiner Shoots in meinen Workflow umzusetzen. Es macht durchaus auch für meine Veröffentlichungen Sinn, da ich zum Zeitpunkt des Shootings nicht immer weiß, ob und wie es in einem meiner Print-Publikationen veröffentlicht wird. Heute ist es fester Bestandteil meines Workflows, auf den ich nicht mehr verzichten mag!

Kill your Darlings: Stetiger NEXT LEVEL

Der intensive Dialog während der Bildauswahl verhilft mir zu einem differenzierten Zugang zu meinen Bildern, auch den „schlechten“. Ich kann mich nicht mehr verstecken und muss mich meiner Selbstkritik stellen. Dieser Prozess, immer wieder aus Neue abzuwägen, macht etwas ganz Entscheidendes mit mir. Ich begegne mir und meinen Bildern auf eine sehr intensive Weise. Die ausgewählten Bilder und Bildstrecken müssen allen eigenen Gedanken dazu standhalten. Dies ist nicht immer angenehm! Aber es schult meinen Blick, da ich aus jedem Auswahlprozess mit neuen Gedanken herausgehe. Unabhängig davon, wie perfekt ich es umgesetzt habe. Das heißt, auch wenn ihr noch nicht so versiert darin seid und es sich erst einmal holperig anfühlt, werdet ihr davon profitieren! Ihr werdet euch jedes Mal etwas besser kennenlernen und mehr dazu erfahren, wie ihr hinter der Kamera tickt.

Bildauswahl mit Abstand

Wenn Bilder sehr zeitnah, vielleicht auch aus der Euphorie der Stimmung beim Shoot noch am selben Tag, aus der Masse ausgewählt werden, haben diese nach zeitlichem Abstand nicht immer die gedachte Wirkung. Woran liegt das? Wenn ich eine tolle, vielleicht auch euphorische Stimmung beim Shoot hatte (ob nun gerechtfertigt sei mal dahingestellt) bewerte ich nicht das Bild, sondern die Stimmung, die ich persönlich noch im Kopf habe. Das wird nur ein Betrachter nicht nachvollziehen können. Das eigentliche Bild wird überlagert und hält vielleicht nicht, was ich mir grade verspreche. Wenn ich mich beim Shoot z. B. wie irre über den krassen Lichteffekt begeistere, diesen dann fix in der Post akzentuiere um es am selben Abend noch zu posten, bzw. zeigen zu können, entgeht mir vielleicht, dass die Pose des Modells bei dem gewählten Bild eher unvorteilhaft ist. Erst mit Abstand und Methode gelingt es mir, Bilder im Vergleich zu bewerten. Ich spreche übrigens aus eigener Erfahrung. Ich habe es schon oft erlebt, dass Bilder mit zeitlichem Abstand betrachtet nicht mehr so stark sind. Und andere Bilder aus dem gleichen Setting die Stimmung wesentlich stärker transportieren.

Funfakt: Übrigens ist es ein Irrglaube das die Community bereits auf die Bilder meines heutigen Shoots wartet. Da draußen weiß niemand woran ich grade arbeitet. Der Zeitpunkt für ein gutes Bild ist egal. Es sollte aber eben ein gutes Bild sein und kein Schnellschuss oder wenn ich bei meiner Metapher bleibe: „Das zweitbeste Steak“. Die Dringlichkeit etwas zu Posten spielt sich ausschließlich in unseren Köpfen ab.

Im Vergleich die Wahl zu haben

Im Vergleich die Wahl haben ist bereits eines der wichtigsten Methoden der Bildauswahl. Bilder immer im Vergleich zu sehen bedeutet: Ich habe ein korrigierendes Maß und vor allem die Wahl. Ich habe es nicht selten, dass ich ein einzeln betrachtetes Bild richtig cool finde, dann aber im Vergleich ein anderes sehe, das stärker im Ausdruck ist, einen Tick zufälliger wirkt oder die Augenstellung noch stimmiger ist. Genau dieser Vergleich macht es mir dann aber ungleich leichter das „richtig coole“ Bild herauszunehmen. Ich bekomme bei einer methodischen Bildauswahl Handlungssicherheit. Grade bei etwas größeren Bildmengen verliert man bei einer intuitiven, eher zufälligen Bildauswahl schnell den Überblick und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

How I do it

Hier einmal als Anregung die hard facts zu meinem Workflow. Sicherlich gibt es auch andere Herangehensweisen, die genauso gut zum Ziel führen. Diese passt einfach gut zu mir und meinem Mindset. Da ich kein Freund von Systembrüchen bin, habe ich mich auch bei der Bildauswahl für einen Workflow in LR entschieden, der nach dem Bildimport startet. Kurz dazu: Mein „Führungsworkflow“ findet in LR statt. Ich importiere die Bilder nach einem Shoot in LR und husche nur, für die zur Bearbeitung ausgewählten Bilder, für die Hautretusche nach PS und dann im Tiff-Format wieder zurück zu LR. Alle weiteren Bearbeitungsschritte, wie Schnitte, Bildlook usw. erfolgen bei mir in LR. Meine Bildauswahl erfolgt über Sternchen. Ich grenze meine Bildauswahl über das Hinzufügen von Sternchen ein, entscheide mich also „für Bilder“. Und kümmere mich nicht mehr um die Bilder, die auf der Strecke bleiben.

Erster Stern: Von Ballast trennen

Den ersten Durchlauf mache ich meist sehr zeitnah und vergebe das erste Sternchen intuitiv für alle Bilder die „halbwegs“ meinen Geschmack treffen. „Stopp! Boris wie war es jetzt mit deinem Tipp: Abstand?“ Hier besteht tatsächlich noch keine Gefahr „gute“ Bilder zu verlieren, da die Einstiegsschwelle für die nächste Runde noch sehr niedrig ist. Ziel ist es, möglichst viel Ballast loszuwerden, um bei der Feinauswahl wesentlich motivierter und frischer an den Start zu gehen. Einfaches Arbeitsprinzip der Motivation: Hast du einen großen Berg vor der Brust teile in so schnell wie möglich in kleine Stücke, sonst schiebst du ihn ewig vor dir her.

Zweiter und Dritter Stern: Vorauswahl // Bilder im Vergleich bewerten

Der zweite Durchlauf erfolgt frühestens! einen Tag nach dem Shoot oft später, damit ich Abstand zur „Euphorie“ des Shootings habe. Hier befasse ich mich mit den Bildern, die beim ersten Durchlauf einen Stern erhalten haben (sprich ich setze den Filter in LR auf einem Stern). Ab hier gehe ich methodisch vor. Ich nehme 4 bis 5 Bilder (variiert nach Bildmaterial) im Vergleich und vergebe für zweien davon den zweiten Stern. Der Dritte Durchlauf erfolgt im zeitlichen Abstand in gleicher Weise. Ich filtere in LR nach den 2-Sterne Bildern und vergebe aus einer überschaubaren Auswahl wieder im Vergleich den dritten Stern. Wenn die Bildmenge des 3-Sterne-Pool dann immer noch zu groß erscheint, mache ich eine “Rückschleife” und wähle wieder im Vergleich raus. Das hängt immer ein wenig mit der Anzahl unterschiedlicher Settings und der Diversität zusammen.

Der jetzt gewonnene Pool der 3-Sterne Bilder ist dann meine Vorauswahl, die ich auch dem Modell für ihre Bildauswahl zur Verfügung stelle (Vorschaubilder mit OOC-Logo, via Dropbox). D.h. sowohl das Model als auch ich greifen in dieselbe Auswahl, um dann unsere finalen Favorits auszuwählen. Das hat auch den Vorteil, dass sie bereit sieht, auf welche Bilder ich für meine Favorits zugreifen würde und ggf. immer noch ihr Veto einlegen kann. Bei einem normalen Shoot darf das Model aus dieser Vorauswahl ca. 10 Favoriten (angepasst an die Anzahl und Diversität der Settings) auswählen, die dann auch garantiert von mir bearbeitet werden. Sie bekommt im Anschluss selbstverständlich auch meine bearbeiteten Favoriten. Da ich ausschließlich auf TfP-Basis arbeite, sprich alle Parteien ihre Zeit für gute Bildergebnisse investieren, gilt für mich das Gleichberechtigungsprinzip auf Augenhöhen. Bei Langzeitprojekten mit demselben Model verfahre ich etwas anders. Da erfolgt die finale Bildauswahl erst nachdem alles auf dem Tisch liegt. Auch wenn wir zwischenzeitlich schon das eine oder andere Bild heraussuchen und bearbeiten. Übrigens lösche ich nach Bearbeitung und Übergabe der Bilder alle Bilder mit „kleiner/gleich“ einem Stern. Ich habe aus hunderten von Shoots die Erfahrung gemacht, dass ich auf diese Bilder nicht mehr zurückgreifen würde. Denkt einmal an euren Dachboden.

Vierter Stern: Finale Bildauswahl

Da ich schon immer in Bildstrecken denke und Shoote, geht es bei meiner Bildauswahl oft darum diese in Form einzelner Bildstrecken zu finalisieren, unabhängig davon ob es irgendwann in gedruckter Form publiziert wird oder als Bildstrecke oder Einzelbilder auf Social Media bzw. meiner Homepage o. ä. veröffentlicht wird. Meine finale Bildauswahl mache ich meist zweistufig (abhängig von der Bildmenge). Ich vergebe innerhalb des 3-Sterne-Pools in LR wieder im Vergleich „großzügig“ einen vierten Stern. Diese Auswahl drucke ich dann aus, um die finale Bildauswahl „analog“ vorzunehmen. Ich habe mir in LR ein einfaches Drucklayout erstellt: 6 Bilder auf einer DIN A4 Seite, inkl. Schnittmarken und Bildnummer. Das Ganze wird auf einem einfachen SW-Laserdrucker ausgedruckt. Danach schneide ich die Bilder mit einer einfachen Schneidemaschine zu. Ihr habt dann die Größe „Polaroid Format“. Das reicht absolut aus, ist kostengünstig und dauert nur wenige Minuten!

Vierter Stern bedeutet übrigens: „Wird bearbeitet“. Wenn das Model mir ihre Favoriten nennt, bekommen diese auch einen vierten Stern und eine Farbmarkierung, damit ich die Bilder ihrer Auswahl zuordnen kann.

Warum überhaupt ausdrucken?

Wenn ich z. B. aus einer Vorauswahl von 60 Bildern eine in sich stimmige (was auch immer das heißt) Bildstrecke zusammenstelle, die vielleicht auch noch eine Geschichte erzählt, ist dies aus unterschiedlichen Gründen am Monitor schlicht nicht leistbar! Unabhängig wie erfahren ihr seid. Manches Mal gibt es z. B. zu Beginn und zum Ende des Shoots Bilder mit gleicher Bildaussage. Diese würden in einer LR-Ansicht am Monitor schwer zueinander finden, da sie in der digitalen Bildauswahl an unterschiedlichsten Positionen stehen. Die nächste Hürde wäre das Puzzeln der Reihenfolge. In ausgedruckter Form kann ich alle Bilder so lange hin und her schieben und Bilder herausnehmen und wieder reinsetzen, bis es für mich stimmig ist. Ich habe immer den Blick auf das Gesamtbild. Diese Bildstrecken liegen dann auch Tage oder länger auf meinem Parkettboden, werden immer mal wieder mit Abstand betrachtet, in der Reihenfolge verschoben oder einfach Bilder wieder herausgenommen um zu schauen ob diese wirklich in der Story fehlen würden.

Es gibt auch Bilder die ich als Einzelbild betrachtet unfassbar gut finde, die sich aber nicht in die Bildstrecke fügen wollen. Dies erkennt ihr aber erst beim Aufbau der Strecke. Dann gibt es wiederum Moodbilder die als Einzelbild zu schwach sind, für die Strecke aber sehr wichtig.

Bild Fuerte, Marie (Lavendelblüten)

Wenn ich jetzt z. B. in meiner Auswahl vier Bilder mit gleicher Bildaussage habe, die einzeln betrachtet sehr stark erscheinen und diese dann zueinander lege, kann ich im Vergleich recht schnell entscheiden, welches für meine Story das stärkste oder passendste ist. Es geht wieder um Handlungssicherheit. Im Vergleich eine sichere Wahl zu treffen um dann auch mit einem guten Gefühl loslassen zu können. In der digitalen Welt (am Monitor) werdet ihr schnell den Überblick verlieren, da für das Gesamtbild oft mehrere Kriterien eine Rolle spielen. Ihr werdet natürlich auch am Monitor Entscheidungen treffen. Ab einer gewissen Komplexität werdet ihr aber merken, dass es sich unsicher anfühlt.

Probiert es einfach mal mit einer Auswahl eurer Bilder aus einem Shooting aus! Ihr werdet überrascht sein welchen Mehrwert ihr mit wenig Auswand bekommt, und welche Handlungssicherheit, vorausgesetzt ihr habt da den Anspruch nicht das „Zweitbeste“ zu zeigen. Ich höre da oft: „Ist ja nur für Instagram.“ Ich mache es selbst für eine Strecke von 5 bis 10 Bildern die ich z. B. als Bildstrecke im Feed auf Instagram poste. Wenn man diese Routine einmal verinnerlicht hat geht es wirklich ratz fatz eine sichere Auswahl zu treffen.

Fallstrick Redundanz

Eine der größten Fallstricke bei der Veröffentlichung von Bildern oder Bildstrecken ist Redundanz. Ich habe viele gute Bilder, die ich alle sehr mag. Ich hänge emotional an jedem dieser Bilder. Im Vergleich würde mir aber auffallen, dass diese irgendwie sehr ähnlich sind oder die gleiche Bildaussage haben und von vieren, drei zu viel wären.

Da läuft dann bei einer Bildstrecke schnell mal eine Frau, mit sich in der Bildaussage wiederholenden Bildern, endlos an einem Strand hin und her. Für die Fotograf*innen alles emotional wichtige Bilder. Für das Publikum aber nicht mehr nachvollziehbar. Die Herausforderung besteht darin, aus einer Fülle von Bildern, die ganz wenigen aber essentiell relevanten herauszuarbeiten.

Wenn der Schwanz mit dem Hund wackelt

Die Hürde „Redundanz“ zeigt sich übrigens bereits bei den Dreierreihen auf vielen Instagram-Feeds. Ich halte diese Modeerscheinung für schwierig. Es macht wenig Sinn sich, per Dekret, aufzuerlegen immer 3 Bilder aus einem Setting veröffentlichen zu müssen. Wenn ein Setting jetzt mal nur ein richtig gutes Bild beinhaltet, was ja nicht schlimm ist, bedeutet es zwangsläufig ich reduziere mich methodisch auf Mittelmaß, da ich mit zwei schwachen oder schlicht redundanten Bildern auffüllen muss. Und genau dies sehe ich in unzähligen Feeds. Es erstickt jede Form von Kreativität und über diesen Methodischen Zwang wackelt der Schwanz mit dem Hund. Und es macht einen Feed mitunter sehr eintönig. Beim Betrachten kommt dann schnell Langeweile auf. Wenn ihr damit angefangen habt, brecht dies bitte wieder auf. Auch wenn es im Übergang holperig ausschaut. Form follows function.

Emotion schlägt Perfektion

Auch wenn das Thema „gute Bilder“ sehr individuell ist, hier einmal meine Gedanken dazu, worauf ich bei der Bildauswahl achte. Disclaimer: Dies hat selbstverständlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und soll lediglich Anregungen geben. Als Ziel meiner Bilder wünsche ich mir, dass diese etwas beim Betrachter auslösen und ihn berühren. Eines der wichtigsten Kriterien für meine Bildsprache ist Authentizität und Stimmigkeit. Übrigens meine ich die bezogen auf die Menschenfotografie in der es um das porträtieren eine Menschen geht. Es gibt natürlich auch Sujets, wo dieses Element gar nicht erwünscht ist und bewusst über Abstraktion oder Übertreibung gearbeitet wird, wie z. B. bei einigen Fashion-Shoots.

Warum ist mir Authentizität und Stimmigkeit in meiner Bildsprache überhaupt so wichtig?

Das Einstufen von stimmig oder unstimmig ist ein Prozess, der sich ganz unbewusst innerhalb einer halben Sekunde bei jedem von uns abspielt. Das gilt auch für die Betrachtung von Bildern. Es ist ein archaisches Muster aus der Urzeit, wo instinktiv über kämpfen oder fliehen entschieden werden musste. Dieser Urinstinkt / -reflex ist in unserem Reptiliengehirn (Hirnstamm) hinterlegt und beeinflusst auch heute noch unsere Wahrnehmung, obwohl Mamuts und Säbelzahntiger nicht mehr unser Leben bereichern. Das Ergebnis ist aber immer das Gleiche: Fehlende Authentizität oder Stimmigkeit verursacht Misstrauen und lenkt unsere Aufmerksamkeit in die falsche Richtung. Es geht also um Emotionen, nicht um technische Ratio!

Bewusst eingesetzte Unstimmigkeit ist sicherlich ein interessanter Aspekt in der Bildsprache. Oft ist Unstimmigkeit in Bildern aber ungewollt und zufällig und erzielt dann ungewünschte Assoziationen beim Publikum. Das kann auch ein technisch perfektes Bild nicht retten. Resoniert hingegen das was ich sehe mit mir, wird es mich mit großer Wahrscheinlichkeit auch berühren. Wenn nicht, wird es mich bestenfalls begeistern.

Was bedeutet dies jetzt konkret für meine Arbeit? Mein Sujet ist „Akt-Porträt“. Dies meine ich im buchstäblichen Sinn. Also nicht den technischen Porträtschnitt, sondern das Porträtieren eines Menschen. Mal mehr, mal weniger bekleidet. Ein Element meiner Bildsprache dazu ist es, meine Bilder „facefokused“ aufzubauen. Ich möchte den Betrachter trotz offensichtlicher Nacktheit über den Ausdruck des Modells ins Bild ziehen. Damit dies funktioniert muss der Bildbetrachter im Ausdruck, der Pose usw. auf Stimmigkeit stoßen, um dort zu verweilen und eingeladen zu werden weiter in das Bild einzutauchen und sein Kopfkino anzustoßen.

Wenn ich hingegen keine Stimmigkeit vorfinde, gleitet der Blick einfach weiter über das Bild um nach Antworten zu suchen und landet vielleicht dann als erstes auf ihren Brüsten o. ä. oder es wird einfach weitergescrollt. Das wären dann eher „Brustbilder“ und das genaue Gegenteil von dem, dass ich mit meiner Bildsprache transportieren möchte. Ein wichtiger Grundsatz für meine Bildern dazu ist: „Nude but not exposed“. Wobei „exposed“ sich für mich nicht nur auf Nacktheit bezieht, sondern auf alles „Bloßstellende“. Das hat für mich auch sehr viel mit Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Menschen zu tun, der mir dieses Vertrauen schenkt.

Was bedeutet Stimmigkeit für meine Bildauswahl?

In meiner Fotografie treibt mich die permanente Suche nach Stimmigkeit. Bei meiner vergleichenden Bildauswahl ist ein Kriterium dann auch immer: „Welches Bild ist das stimmigere für meine Message.“ Das gilt natürlich auch für eine bedrohliche Bildstimmung. Auch diese sollte glaubwürdig sein. Man hört dann von mir z. B.: „Wow, den Blick kaufe ich dir sofort ab.“ Das mag der Blick, die Augenstellung sein, die bei einem Bild einfach stimmiger ist und bei einem anderen vielleicht ins Leere geht. Oder dass, das Handeln (was das Model tut) auch zur Körperpose passt und stimmig ist (das Model z. B. beim zuknöpfen ihrer Bluse auf die Fingen und nicht daran vorbei ins Leere Blickt). Aber auch Perspektive, Lichtverlauf, Bildaufteilung, Stimmigkeit im Hintergrund usw.

Ein typisches Beispiel dazu ist auch das „Zwei-Geschichten-Bild“. Ein Bild das ungewollt! zwei Geschichten beinhaltet, die aber nicht zusammenpassen. Zum Beispiel ein Männer-Porträt mit einem gelösten Lächeln, einem sympathischen Blick aber einer verkrampften Handpose. Es werden zwei Signale ausgesendet die sich kannibalisieren. Das Bild wird intuitiv als nicht stimmig eingestuft. Oder ein Bild in dem ein Modell über eine sehr spektakuläre Lichtsetzung inszeniert wird, unterstützt durch einen starken Farblook. Dann vor lauter Begeisterung übersehen wird, dass die Hand über die Perspektive fast größer als der Kopf und dann noch in entstellender Haltung eingefangen wurde. Das ist übrigens ein „Blinder Fleck“ bei Fotograf*innen, die ihre Bilder mit einer eher technischen Sicht gestalten. Vielleicht gab es in diesem Setting ja auch Bilder, auf denen beides zusammenpasst. Hier Abstand zu bekommen um auch die weiteren Elemente wahrzunehmen, die das Bildergebnis kannibalisieren, kann man lernen. Der Preis dafür ist aber, dass man genauso viel Zeit in die Bildauswahl wie auch in das Shooting oder eine aufwändige Bearbeitung steckt. Ich nehme auch technisch unscharfe Bilder mit in die Auswahl, wenn sie die Stimmung gut und stimmig transportiert (Bildern mit bewusst gesetzten Defokus einmal außen vor gelassen). Ich kenne Fotografen, die Bilder sofort herausnehmen, wenn das Auge nicht knackscharf ist, was ich persönlich schade finde, da es näher betrachtet dann oft Halbkörperporträts sind, auf denen die „Unschärfe“ nicht auffallen würde.

Ich würde bei der Bildauswahl immer Abwägen, welche Kriterien mir die wichtigeren sind und die Bildaussage am besten unterstützen. Mir persönlich hilf ein technisch perfektes Bild nicht, wenn es den Betrachter nicht berührt. Wir alle haben Prioritäten bei der Betrachtung von Bildern die einen achten eher auf die technischen Merkmale die anderen eher auf die emotionalen. Ein Next Level ist sicherlich, wenn wir über die Bildauswahl heraus finden wo unsere Blinden Flecken liegen, um da den Blick zu schulen!

Ich wünsche euch eine Gute Zeit

Euer Boris