Kann ich Licht besser beurteilen, wenn ich das Kameradisplay auf SW stelle?

Warum das umschalten des Kameradisplays auf SW nicht zwingend zu besseren Entscheidungen bei der Lichtsetzung führt.

Was die Lichtsetzung angeht, bin ich ein absoluter Nerd und sehr anspruchsvoll, wenn es darum geht das Licht bereits bei der Aufnahme spannend in die Kamera laufen zu lassen! Ich werde zu meinen SW-Bildern häufig befragt, ob ich diesen Look in der Nachbearbeitung erziele. Wer glaubt, er könne es in der Nachbearbeitung noch entscheidend beeinflussen, wird enttäuscht werden. Der primäre Lichtlook ist, wie viele andere wichtigen Aspekte, auch bei mir mit dem drücken des Auslösers festgeschrieben und die Kreativarbeit getan.

Deswegen ist das antizipieren der, beim jeweiligen Motiv, vorliegenden Lichtstimmung, meines Erachtens eines der „handwerklich“ wichtigsten Skills in der Fotografie. Bei natürlichem Licht entscheidet die Position des Modells zur Lichtquelle (dem Fenster) und die Lichtformung darüber, ob das Ergebnis polarisierend fleckig und überstrahlt, eher neutral flach oder richtig spannend im Licht- und vor allem im Schattenverlauf umgesetzt ist. Nicht die Knöpfchen an der Kamera! Ich muss mit den Schatten arbeiten und modellieren können. Außerdem beeinflusse ich mit der Lichtsetzung by the way auch die Plastizität des Gesichts und der Gesamtkomposition. Z. B. zu nah an der Lichtquelle oder einfach zu flach im Verlauf nehme ich dem Gesicht seine natürliche Plastizität. Man könnte auch etwas überzeichnet sagen, ein fein modelliertes Gesicht wird über eine unbedachte Lichtsetzung zum „Pfannen-Kuchengesicht“, was übrigens auch respektlos dem Modell gegenüber wäre. Auch einer der Gründe, warum sich Menschen auf Bildern nicht gleich wieder erkennen. All diese Kriterien haben aber nichts damit zu tun, mit welchem Preset ich das Bild in der Nachbearbeitung akzentuiere.

Aber zurück zu der Frage, ob ich den Lichtverlauf an einem auf SW-gestellten Kameradisplay besser beurteilen kann. Insbesondere, wenn das Ziel bereits die SW-Ausbelichtung ist. Diese Frage wird auch häufig in meinen Workshops gestellt. Ich persönlich teile diese Ansicht nicht! Auch wenn ich 90% meiner Bilder in SW präsentiere, fotografiere ich in Farbe, sprich – auch mein Kameradisplay / OLED-Sucher steht auf Farbe. Mit den Werkseinstellungen, ohne ein verzeichnendes Preset. Wenn Fotografen (auch namenhafte) behaupten, sie würden es in SW besser beurteilen können, vielleicht auch schon seit langem nur noch mit einer SW-Vorschau arbeiten, glaube ich, dass sie sich einfach nur daran gewöhnt haben das Licht jetzt in SW zu beurteilen. Das ist aber denke ich eher ein romantisches Gefühl, als dass es messbar wäre. Ich sehe und beurteile meine Umgebung schon mein ganzes Leben in Farbe, ich lese das Licht in einem Raum in Farbe und habe alle Informationen, die ich für die Lichtsetzung brauche. Warum sollte ich es plötzlich in diesen wenigen Sekunden, die ich auf einen SW-Display schaue, besser sehen? Dazu kommt noch, dass ein Farbbild in den Nuancen wesentlich feiner abgestuft ist, als ein SW-Bild. Ich bekomme auf dem Farbbild schlicht mehr und feiner abgestufte Informationen, auch zum Lichtverlauf, so dass ich auch die Schatten besser beurteilen kann. Was für meine Bildstimmung essenziell ist.

Wo ich allerdings uneingeschränkt mitgehe und dies gilt bei mir gleichermaßen für die gewählte Kameratechnik: Wenn es euch innerhalb des Prozesses mehr Freude bereitet die Bilder bereits in SW zu betrachten, um so auch schon ein Endergebnis in Händen zu halten, place any, dann ist dies absolut gerechtfertigt. Ich denke man sollte im Workflow so arbeiten, dass es einem Spaß macht und motiviert. Vorausgesetzt, man erzielt das gewünschte Ergebnis. Daraus zu schließen, man könnte das Licht für ein SW-Bild besser beurteilen, halte ich allerdings für sehr gewagt. Da ist, glaube ich, der Wunsch eher der Vater des Gedankens.

Wäre dem so, dann würde ich mich ernsthaft fragen wie die Fotografen, die über Generationen mit ihrer guten bis genialen Lichtsetzung in ihren SW-Bildern begeistern, dies überhaupt hinbekommen haben. Haben doch viele von ihnen analog fotografiert, ohne jemals vor dem Auslösen das Ergebnis in SW gesehen zu haben.

Ein gutes Auge fürs Licht und damit verbunden einer guten Lichtsetzung hat nichts mit der Kameravorschau in SW oder Farbe zu tun. Wer aus diesem Grund jetzt seinen Kamera-Display umschaltet oder gar zu einem SW Sensor greift, wird sich wahrscheinlich wundern oder gar enttäuscht sein, dass diese Maßnahme nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. Auch wenn „namenhafte“ Fotografen vielleicht gerne damit kokettieren, ungeachtet dessen, dass sie außerhalb der wenigen Minuten, in denen sie das mögliche Bildergebnis in SW betrachten, alle visuellen Eindrücke im Leben in Farbe sehen und beurteilen.

Werdet zu einem guten Beobachter für das, was ihr seht, was das Licht mit eurem Motiv macht und wie die Kamera es im Ergebnis einfängt um vom jeweiligen Ausgangspunkt die richtige Entscheidung zu treffen. In der Fotografie geht es oft nicht darum aus dem Stand ein perfektes Bild zu machen, sondern es geht um Entscheidungen, was ihr vom jetzigen Status quo – z. B. das Displaybild – verändern müsst um zu eurem Wunschergebnis zu kommen. Es sind unsere Entscheidungen und das resultierende Handeln, das kreative Prozesse voranbringt!! Das dies in der SW-Fotografie über der uns angeborenen Sicht in Farbe möglich ist, haben unzählige Fotografen, die für ihre grandiosen SW-Bilder bekannt sind, bewiesen.

Ich wünsche euch eine gute Zeit

Euer Boris